Essay
Augenblicke
in der Natur
Zeitungsjunge
Ich
hätte nie gedacht, dass ich meine – temporäre - Erfüllung
mal als Zeitungsjunge finde. Wahrscheinlich der „älteste“
Zeitungsjunge auf dem Globus. Und, gemessen an den Geschwindigkeiten
junger Dynamiker, vielleicht sogar eher eine „Zeitungsente“. Halt
mit stabilen Schuhen. Meine „Ecco“-Walkingmodelle tragen mich am
Südhang von Saint Affrique in ungeahnte Höhen. Höhenmeter.
Ich spüre die neidischen Blicke der Himalaya-Kletterer, die ja
immerhin mit Sherpas unterwegs sind, während ich mich mit meinem
französischen Impressario, einem flotten 60er, durch die
südfranzösische Kleinstadt schleppe. Wahrlich kein
Eldorado. Schätze kann ich hier kaum heben. Zumindest keine
irdischen. Doch tief bücken darf ich mich – wegen der
niedrig-hängenden Briefkästen. War hier vormals eine
Zwergpudel Zeitungsausträger? Oder testet das fürsorgliche
Universum die Gelenkigkeit meiner Hüften und Knie? Soll es
ruhig, da ich kraxeln, Treppenlaufen und eben Walking bestens gewöhnt
bin, schert´s meine Knochen etc. wenig.
Ich
hab´ mir – entgegen meiner Ideale – den Rentnerhügel
gewählt, „un Quartier fatigante“, wie der Chef-Distributeur
lakonisch anmerkt. Ich sehe die dunklen Holztüren, geschlossenen
Fensterläden, gepflegten Vorgärtchen und nehme, mehr aus
den Augenwinkeln, denn ich bin ja zum Arbeiten hier, die Baskenmützen
und begraute Kahlköpfigkeit hinterm Steuer schneckengleich
dahindefilierender Fahrzeuge in gedeckten Farben wahr. „Pas de
publicité“ – ein Schild, „bitte keine Werbung“, in
zartem Grün, verlangt Aufmerksamkeit. Beachtung. Ja keinen
Fehler machen als Zeitungs-Frischling. Der eisige Regen, (warum such´
ich mir den Job im Winter aus…?) angetrieben mit –
geschätzter – Windstärke „7“ peitscht mir in
Südfrankreich ins Gesicht. Der Südhang wird zur grimmigen
Visage – einer Illusion und wohl eher eine Abart des Nordhangs. Was
soll´s, die rund 6-8% Steigung läßt´s mir warm
werden. Patrick hat sich ins Auto zurückgezogen und prüft
würdevoll die Gesamtlage. Rund 600 St.Affricaine (das ist kein
Stamm in Benin, das sind Gratis-Zeitungen) und 1.200 Prospectus gilt
es zu verteilen. „Also, halte Dich ran“, raunt mein forscher,
innerer Schweinehund mir zu.
„50
Euro“ flüstert mir derweil mein kritisches Verstandes-Ego ins
Gemüt. „50 Euro für einen Tag St.Affricaine“. Ich
versuche, die Umrechnung in einen Stundenlohn zu vermeiden, denn der
Betrag ist brutto, incl. Fahrtkostenzuschuß. Mein
Millionärs-Dasein ist, mit viel Optimismus, im Entstehen
begriffen. Kneifen gilt nicht. Nach dem finanziellen Absturz folgt
nun die erste Chance zum Geldverdienen und Patrick hilft mir dabei.
Uneigennützig. Das verdient Respekt.
Natürlich
mit meinem Humor gemischt. Und mit meiner Energie. Er versteht
das. Er fühlt, dass ich ihn akzeptiere.
Das
ich auch diese Aufgabe akzeptiere. Und ernsthaft wahrnehme. Wenn auch
mein Augenzwinkern humorvoll-selbstironische Komponenten hinzufügt.
Bestimmt
folgt auf den Eisregen die Sonne. Demnächst. Am nächsten
Mittwoch.
Am
Südhügel von St. Affrique.
Dann
schwitz´ ich unter südlicher Hitze.
Mit
meinen Zeitungen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen