Freitag, 18. Januar 2013

essay "Ein Mensch"



Ralf Wendling

Essay

Augenblicke in der Natur

Ein Mensch

Gütige, große braune Augen. Ein silber-weißer Bart, der ein freundliches Gesicht umrahmt.
Patrick hat uns eine Tüte voller Lebensmittel gebracht. Einfach so. Ohne viele Worte: “Pour vous“.
Der Kühlschrank ist seit Tagen nahezu leer. Ein Stück Käse, etwas Butter. Das letzte Mehl zu einem Brot verarbeitet. Das wenige Hundefutter mit Nudeln gestreckt. Heu für die Pferde? – Es ist keines mehr da. Luzerne, mit Stroh gemischt, bildet den Ersatz.
Trinkwasser holen wir von einer Quelle im Ort. Das Heizöl, ein Rest vom Vorbewohner zurückgelassen, ist fast verbraucht. Wir nehmen es eh nur zum Duschen. Das Gas für den Herd ist zu Ende. Der Tank unseres Autos auf Reserve.
Ich habe noch einige Cent im Portemonnaie. Doch ein geldgieriger, schottischer Mulitmillionär, der in seinem Privatjet um die Welt fliegt, verfolgt uns wegen einiger Euros, die wir ihm angeblich schulden, unbarmherzig.
Nur das Vertrauen, der Glaube an uns und unser Projekt sowie die Dankbarkeit für die Menschen, die geben, lässt uns noch lächeln.
Patrick lächelt auch. Er gibt uns Nudeln, Milch, Konserven, Zwieback – und ein Säckchen Hundefutter. Er lebt, unweit von uns in einem winzigen Appartement mit seinen vier Hunden.
Ich sah ihn. Eines Morgens. Er führte seine vierbeinigen Freunde an der Leine durch Pousthomy. Ich war auf dem Weg zur Quelle, sprach ihn wegen der Hunde an, die mich freundlich-wedelnd begrüßten. Ich spürte: „Der Mensch hat was“ – wir verstanden uns sofort.
Er erhält Sozialhilfe und hat einen Berechtigungsschein für das Restaurant du Coeur.
Ich selbst bin dort seit dem 24.12.2012 aktiv. Als „Benevol“. Ein Nachbar sagte mir, dort gäbe es etwas zu tun. Es ist eine gemeinnützige Einrichtung, eine Institution, gegründet von dem Künstler „Coluche“; man ist auf Spenden angewiesen und gibt den Bedürftigen Lebens- und Körperpflegemittel. Für mich bedeutet diese „Arbeit“: Raus aus dem Einerlei – aktiv sein – helfen.
Am nächsten Tag steht Patrick mit seinem Anhänger vor der Tür und hat Heu für unsere Pferde dabei. Duftendes, leckeres, gutes Heu. Wir sind sehr dankbar.
Ein wenig Geld erhalten wir von unseren Eltern. Wir laden Patrick zum Abendessen ein. Erfreut nimmt er an. Und erzählt. Von seinem wechselvollen Leben, seiner Sehnsucht, seinem Buch, an dem er schreibt. Ein Buch, das von der Natur, der Liebe und dem Sinn des Lebens handelt. Er liest uns daraus vor. Und, obwohl wir die lyrische französische Sprache nur schwer verstehen, erfassen wir doch seine Gefühlswelt. Ja, gefühlvolle Zeilen, intensiv.
Zum Glück können wir diesem Menschen, außer unserer Aufmerksamkeit und der Zuneigung, die wir ihm sofort entgegenbringen, auch etwas „happtisches“ geben.
Bettina richtet ihm eine email-Adresse und einige andere Dinge auf seinem Computer ein. Er ist Internet-Neuling.
Ich begleite ihn auf seinem Hunde-Promenade und zeige ihm die üppigen Zitronen-Thymian und Pimpinelle- Bestände, die an den roten Sandsteinhängen des Rouerge gedeihen. Er hatte sich das Fussgelenk gebrochen und ich kann ihm einige Tipps für Körper-Geist-Seele zur Aktivierung seiner Selbstheilungskräfte geben.
Patrick bedankt sich vielmals.
Zwei Tage später, es ist Abend. Die Türglocke wird energisch geläutet.
Patrick steht da, mit drei großen Plastiktüten voller Lebensmittel – und Hundefutter.
Alle Worte hierfür erübrigen sich, als ich in sein gütiges Gesicht blicke.
Ich sage nur zu ihm, dass ich ihm das NIE vergessen werde. Die Botschaft kommt an.
Ich backe ein Brot. Das erste Mal direkt im eisernen Holzofen. Auf meiner Silberquarzitplatte. In der Glut.
Das duftet. Und schmeckt. Ich teile es in drei Stücke. Eines für Patrick, eines für Michaela & Marcel, die uns schon so viel gegeben haben. Ich packe für sie eine Tüte voller Lebensmittel, denn Patrick hat es sehr gut mit uns gemeint. Ihm bringe ich das Brot und den Beiden die Tüte in ihr Häuschen im Wald.
Diese Augenblicke, diese Situationen prägen. Zu geben, ohne etwas dafür zu erwarten. Die Dankbarkeit zu fühlen, das Erlebnis von Freude und Wärme.
Die Reiseetappe „Pousthomy“ wird somit zu einem prägnanten Ort von Werten und Vertrauen.
Patrick möchte am nächsten Morgen seinen Hänger abholen. Er will uns Heu besorgen. Am Abend steht der Hänger vor unserem Haus, mit 16 Quadern wundervollen Heus. Er sagt zu Bettina nur „Cadeau“, also Geschenk, lächelt sein Lächeln und geht.
Es ist der 15. Januar, ein Tag vor dem starken Wintereinbruch und tiefem Schnee. An Zufälle glaube ich schon lange nicht mehr… .
Am Donnerstag bin ich wieder Benevol. Und Patrick fährt mich. Er holt heute seine Lebensmittel vom Restaurant du Coeur. So schauen wir uns an. Er vor der Theke -und ich dahinter. Es könnte auch umgekehrt sein.
Egal.
Danach haben wir einen Termin mit der Sozialstation in St. Affrique. Irgendwo, so sage ich mir, wenn es schon keine bezahlte Arbeit gibt und auch die Menschen, die eigentlich „genug“ Geld haben, für uns nichts übrig haben, müssen wir Geld herbekommen. Patrick schildert unsere Situation. Die Mitarbeiter sind entsetzt, ob der unfassbaren Methoden, mit denen der Multimillionär uns verfolgt.
Sie hören Patrick zu. Eine Chance… .
Später geht´s zum Intermarché. Wir kaufen ein. Er sagt: „Nimm, was Du brauchst“. – Ich erwidere scherzhaft: „Ich nehme alles…“ und er: „Das Risiko gehe ich ein!“ Grandios. Heute ist der 17.Januar 2013.
Der Schnee bedeckt das Land. Wir leben. Und blicken auf Morgen.